In meinem letzten Blogbeitrag vom 19. Oktober schrieb ich über meine Liebe zu Zeitzeugnissen, Lebenswegen, Werten und Lebensqualitäten.
Zwei Tage später, am 21. Oktober, fotografierte ich ein Zeitzeugnis meiner eigenen Familie. Intuitiv schlug ich meinen Familienmitgliedern drei Termine vor: den 14.- 21. oder 28. Oktober. Unsere finale Wahl fiel auf den 21. Oktober. Welch ein unfassbar tiefes Geschenk diese Auswahl war, erfuhren wir wenige Tage später. Am 26. Oktober verunglückte mein Vater. So schwer, dass er ins Koma fiel und am Vormittag des 08. November seinen Körper verließ. Die letzten 6 Tage seines Lebens verbrachte ich an seiner Seite. Für mich das größte Geschenk, was Papa mir machen konnte.
Ich glaube fest daran, dass wir uns bereits vor der Geburt mit allen Seelen aus unserer Familie verabreden. Wir sind uns Partner, die uns in der Erfahrung unserer Lebensaufgaben unterstützen. Mein Vater und mich verband eine meiner Lebensaufgaben: Die Vergebung. Darüber schrieb ich in meinem ersten Band meiner Autobiografie Reihe Die Faszination des eigenen Lebens. Wir zwei hatten es nicht leicht miteinander, dennoch verband uns eine ganz innige und tiefe (aber leider lange unausgesprochene) Liebe. Papa hat mir erst im Erwachsenenalter gesagt, wie sehr er mich liebt. Das war wundervoll. Für uns beide.
Neben meinem persönlichen Vergebungsprozess, lernte ich von meinem Vater das Handwerkern und im allgemeinen das „Machen“. Er war ein Macher. Durch und durch. Einiges habe ich von ihm übernommen. Dank Papa kann ich vieles selbst reparieren oder wenigstens vorläufig in Ordnung bringen. Bei mir wackelt kein Tisch und alle (Ikea)Schränke sind stabil zusammengezimmert. Dank meinem vertrauten Umgang mit seiner wunderschönen alten Wasserwaage aus Holz hängt auch keines meiner Bilder oder Regale schief an der Wand. Selbst kleine Stromspielereien bewältige ich selbst. Auch ich wurde im Laufe meines Lebens immer mehr zur „Macherin“.
Heute, mit über 51 Jahren, versuche ich jedoch mehr und mehr, auch mal um Hilfe zu bitten.
Hilfe anzunehmen – die Fähigkeit zu Empfangen… das ist für mich ganz neu und Bedarf des intensiven Trainings. Ja, ich möchte den in mir so ausgeprägten „Ich schaff das auch alleine!“ Modus sehr gerne ablegen und mir zu mindestens 50 Prozent meiner Persönlichkeit das weibliche entspannen und empfangen erlauben. Das fällt mir glücklicher weise mit jedem Tag ein wenig leichter.
In unseren letzten gemeinsamen 6 Tagen sprach ich alles aus, was es noch zu sagen gab.
Ich erzählte meinem Vater, was ich als Kind vermisste. Dass ich, weil er als erste männliche Begegnung in meinem Leben mein großes Vorbild für „die Männer“ war, unbewusst Männer an meine Seite wählte, die ebenfalls nie da waren. Für die ihr Business immer wichtiger war, als ihre Partnerschaft und Familie. Und später, als ich alleinerziehende Mutter wurde, war ich ebenfalls nie so richtig „da“. Physisch ja, aber gedanklich war ich überwiegend damit beschäftigt, für den Lebensunterhalt meiner Tochter und mir zu sorgen. In dieser Zeit unterstütze mich mein von Papa übernommener „Macher Modus“ natürlich sehr.
Doch ich lebte auch das kleine hingebungsvolle Mädchen in mir in unseren letzten 6 Tagen aus.
Ich legte meinen Kopf wie früher auf Papas Brust. Ich streichelte und küsste sein Gesicht. Ich weinte um uns. Und ich sang ihm das Lied „Spuren im Schnee“ vor, was er mir als Kind als Gute-Nacht-Lied vorsang. Unter Tränen sagte ich Papa, wie stolz ich bin, seine Tochter zu sein und seinen Namen zu tragen. Trotz dem mein Vater im Koma lag, angeschlossen an etlichen Schläuchen lebenserhaltender Maßnahmen, spürte ich: Papa versteht jedes einzelne Wort. Wie sehr wir beide uns auch im Inneren ähnelten, welch tiefe Wunden wir zwei in unseren Herzen trugen, das erfuhr ich erst nach seinem Tod, als mein Bruder und ich seine Wohnung für die Beerdigungsgäste vorbereiteten.
Papas Tod öffnete Welten in mir.
Er riss mir den Schleier der letzten 51 Jahre von den Augen und vom Herzen. Ich erkannte plötzlich, was in meiner Familie für Muster gelebt werden und welche davon mich bis heute auf sehr belastende Weise regieren. Ab sofort bis Ende Januar 2019 erlaube ich mir eine Auszeit. Um Papas Tod zu verarbeiten und mir einen neuen Lebensentwurf zu gestalten. Ab 2019 schenke ich mir ein Leben mit sehr viel mehr Leichtigkeit, Liebe, Fülle, Empfangen, Erfolg und Erfüllung in allen Bereichen meines Lebens…
Mit folgenden Bildern, die einen kleinen Ausschnitt aus unserer gemeinsamen Zeit zeigen, ehre ich meinen Vater Heinz Kolf von ganzem Herzen.